12 Okt 2022

Alte Obstsorten und Obstbaumalleen in Deutschland: Mundraub ausdrücklich erlaubt!

Der Herbst von frühem September bis Mitte Oktober ist Erntezeit für vitaminreiches Obst aller Art. Entlang vieler deutscher Landstraßen stehen an sogenannten Obstbaumalleen Obstbäume und locken mit reifen Äpfeln, Birnen oder Pflaumen. Auch Hecken von Brombeeren und Holunderbüsche versprechen reiche Ernte. An vielen Orten fällt das reife Straßenobst zu Boden und wird nicht verwertet, aber immer öfter sieht man auch Menschen, die fleißig pflücken. Warum stehen die Bäume da? Ist das Pflücken an öffentlichen Straßen überhaupt erlaubt? Was muss man dabei beachten? Und wie lagert man die vitaminreichen Schätze richtig?

Alte Obstsorten: Eine Handvoll frisch geernteter roter Äpfel

Knackige Lageräpfel spenden den ganzen Winter über Vitamine.

Altes (Obst-)Wissen macht glücklich

Stellen wir uns eine ältere Dame auf dem Fahrrad vor, beladen mit einer Klappleiter, einem Apfelpflücker und je einer großen Einkaufstasche links und rechts am Lenker. Rüstig und geschmeidig für ihr Alter steigt die Dame vom Rad, baut die Leiter unter einem am Wegesrand mit rotbäckigen Äpfeln lockenden Baum auf und beginnt zu pflücken. Nachdem die erste Tasche prall gefüllt mit reifen Äpfeln ist, geht sie weiter zum nahegelegenen Fliederbusch (auch als Holunder bekannt) und pflückt die reifen, schwarzen Beeren, aus denen sich leckerer Saft pressen lässt. Beide Taschen bis zum Rand mit köstlichem, kostenlosem Obst gefüllt, steigt die Dame wieder auf ihr Fahrrad und radelt zielstrebig nach Hause. Diese Dame war meine Oma. Warum ich diese Erinnerung hege und pflege? Weil wir Enkel am nächsten Tag mit Fliederbeersuppe mit Apfelspalten und Grießklößchen verwöhnt wurden!

Was für uns einfach nur die beste Fliederbeersuppe der Welt bedeutete, war für die Generation meiner Oma zu Kriegs- und Nachkriegszeiten überlebenswichtig. Mit wachsendem Wohlstand und gut gefüllten Supermärkten mit Äpfeln und Birnen auch im Winter (zum Beispiel aus Neuseeland) gerieten öffentliche Streuobstwiesen und Obstbaumalleen in Vergessenheit. Glücklicherweise ändert sich das gerade wieder im Zuge eines gestiegenen Umweltbewusstseins. Denn alte Obstsorten sind regional, ein wichtiger Genpool, widerstandsfähiger gegen Obstkrankheiten und brauchen keine Pflanzenschutzmittel.

Alte Obstsorten ernten: rote Äpfel am Baum

Alte Obstsorten werden aus gutem Grund wiederentdeckt.

Was sind alte Obstsorten?

„Als alte Obstsorten werden Apfel- und Birnensorten bezeichnet, die vor 1920 entstanden sind. (…) Aber auch bei Steinobst und Beerenfrüchten gibt es alte, bewährte Sorten.“, schreibt Dr. Olaf Anderßon, Biologe und Vorsitzender des Lüneburger Streuobstwiesen e. V. Viele regionale Sorten entwickelten sich aus den besonderen klimatischen und bodenbedingten Gegebenheiten, verbreiteten sich aber auch überregional. Alte Sorten wie „Prinzenapfel“ oder „Gravensteiner“ findet man von Norddeutschland bis ins Allgäu. Spezialsorten wie die „Hamburger Speckbirne“, eine Kochbirne, die gern für das norddeutsche Gericht “Bohnen, Birnen und Speck“ verwendet wurde, sind zum Teil heute leider verschollen. Wer mehr über die alten Obstsorten in der eigenen Region wissen möchte, sollte sich an einen Streuobstwiesenverein in der Nähe wenden.

Ein kleiner Ausflug in die Geschichte

Während des frühen Mittelalters wurden Obstbäume überwiegend in Klostergärten und den Prunkgärten des Adels angebaut. Über die Jahrhunderte entwickelte sich das Obst am Straßenrand zu einem Nahrungsmittel auch für die breite Bevölkerung. Anfang des 18. Jahrhunderts ließ Friedrich der Große Obstbäume entlang der großen Heeresstraßen pflanzen – der Beginn der schönen und praktischen Obstbaumalleen. Ab 1766 wurden aus der Gärtnerei der „Herrenhäuser Gärten“ aus Hannover sogar jährlich 20.000 Obstbäume kostenlos abgegeben. Laut Dr. Olaf Anderßon entwickelten sich in jedem Dorf aus Zufallssämlingen eigene Sorten mit besonderen Ei­gen­schaf­ten. In Süd- und Mit­teldeutschland entstanden ausgedehnte Streuobstwiesen. In Norddeutschland lie­ßen das raue Klima und die Besitzverhältnisse diesen Anbau so nicht zu. Stattdessen wurden auf den gemeinschaftlich genutzten Flächen um die Dörfer grüne Streuobstgürtel geschaffen oder „Obstalleen“, welche die Dörfer verbanden.

Obstbaumallee auf grüner Wiese

In vielen Gemeinden gibt es Obstbaumalleen.

Wer darf denn nun Straßenobst pflücken?

Es wäre doch zu schade, all das köstliche Obst entlang der Landstraßen einfach verfaulen zu lassen. Aber darf denn jeder einfach so pflücken? Klar ist, dass alle Obstbäume und Beerenbüsche auf offensichtlichem Privatgrund auch Privatbesitz sind und damit erst um Erlaubnis gefragt werden muss. Obstbäume entlang der Landstraßen sind in der Regel im Besitz der jeweiligen Gemeinde. Überwiegend dulden die Gemeinden das öffentliche Pflücken, viele haben in den letzten Jahren sogar neue Obstbaumalleen angelegt gerade für diesen Zweck. Wie heißt es so schön bei Wilhelm Busch:

„Ja, zur Übeltätigkeit,
Ja, dazu ist man bereit!
Menschen necken, Tiere quälen,
Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen.“

Um sicher zu gehen, nicht wie Max und Moritz zu enden, sollte man sich vorher beim örtlichen Grünflächenamt erkundigen. Eine wunderbare Informationsquelle, wo und was gepflückt werden darf, ist die Online-Plattform mundraub.org. Sie bietet eine interaktive Karte mit der genauen Angabe, wo welche Obstsorten gepflückt werden können. Im Blog finden sich Hintergrundinfos und Rezepte zur Verwertung. In manchen Gegenden werden auch gelbe Schleifen an die Bäume gebunden, die zum öffentlichen Naschen gedacht sind! Ganz wichtig beim Pflücken ist, nicht in die Bäume zu klettern, nicht an Ästen zu reißen oder Äste abzubrechen. So ein Verhalten würde nicht nur die Ernte im nächsten Jahr gefährden, sondern ist sogar strafbar! Am besten stattet man sich zum Pflückausflug aus wie meine Oma mit Leiter und Apfelpflücker.

Alte Obstsorten: knorriger Apfelbaum mit roten Früchten

Manche alte Apfelsorte ist eine wahre Augenweide!

Alte Sorten pflanzen im eigenen Garten

Wer lieber im eigenen Garten statt entlang der Landstraße ernten möchte, kann mittlerweile wieder auf viele alte Obstsorten zurückgreifen. Neuere Apfelsorten, die im großen Stil für den Erwerbsanbau genutzt werden, sind sehr empfindlich und müssen mit umweltschädlichen Chemikalien gegen Schädlinge und Krankheiten geschützt werden. Das ist bei den alten Sorten kaum der Fall. Alte Obstsorten haben viele Vorteile:

  •     es gibt Sorten mit früher oder später Ernte
  •     besonders attraktive Sorten auch als Schmuck
  •     wichtig für den Genpool
  •     insektenfreundlich
  •     natürlich widerstandsfähig gegen Schädlinge und Krankheiten
  •     kulturelles Erbe

Für welche Sorten man sich entscheidet, ist dem eigenen Geschmack und den örtlichen Gegebenheiten geschuldet. Viele Baumschulen führen mittlerweile auch eine große Vielfalt an alten Obstbaumsorten in ihrem Sortiment und beraten, welche für den eigenen Garten geeignet sind. Bei der Auswahl helfen auch gern die örtlichen Streuobstwiesenvereine, die auch oft Pflege- und Obstbaumschnittkurse anbieten. Wer einen Apfelbaum in seinem Garten „geerbt“ hat, findet hier außerdem Hilfe bei der Bestimmung der Sorte. Eine übersichtliche Liste mit gängigen alten Sorten bietet der NABU.

Ideal für die Lagerung – eine Obst- und Gemüsehorde aus hochwertigem Holz.

Wie lagert man das köstliche Gartengold?

Ob frisch aus dem eigenen Garten oder entlang einer Obstbaumallee gepflückt, stellt sich die Frage: Wie lagert man die Äpfel? Denn die Ernte ist im besten Fall viel mehr, als man sofort verbrauchen kann. Alle spät reifenden Apfelsorten sind sogenannte Lageräpfel, halten sich also bei richtiger Lagerung bis ins Frühjahr. Fallobst und Äpfel mit kleinen Stellen sollten sofort verbraucht oder getrennt von leicht beschädigten Äpfeln aufbewahrt werden. Nur makellose Äpfel mit Stiel und intakter Wachsschicht eignen sich für die lange Lagerung.

Zum langfristigen Aufbewahren bietet sich ein dunkler, kühler Raum (5 C° sind ideal) mit hoher Luftfeuchtigkeit wie zum Beispiel ein Keller an. Denn in Holzkisten oder auf Holzregalen fühlt sich Lagerobst wohl, weil diese gut durchlüftet sind. Wichtig ist, nur jeweils eine Schicht zu lagern, weil sonst Druckstellen entstehen können. Das erleichtert auch das regelmäßige Prüfen und Aussortieren des Lagerobstes. Eine Obst- und Gemüsehorde, also ein Regal mit separaten Holzstiegen, eignet sich dafür hervorragend. Darin können auch zum Beispiel Kartoffeln und Äpfel gleichzeitig gelagert werden, weil die gute Luftzirkulation das Reifegas Ethylen, das Äpfel ausscheiden, verfliegen lässt.

Äpfel richtig lagern im Überblick:

  • Äpfel ernten, wenn sie knapp reif sind
  • mittelgroße Äpfel lagern am besten
  • Äpfel einzeln legen, zum Beispiel in eine Obsthorde
  • regelmäßig auf Schadstellen kontrollieren und aussortieren
  • nicht unter null Grad lagern – fünf Grad sind optimal
  • als Lagerraum eignen sich Gartenlauben oder Keller
Alte Obstsorten sind ein Genuss: Streuobstwiese und Apfeltarte

Ernteschatz: eine Tarte aus frischen Äpfeln!

Jetzt darf genascht werden!

Mit dem richtig gelagerten Straßenobst oder den alten Obstsorten aus dem eigenen Garten lassen sich den ganzen Winter über fruchtige Köstlichkeiten zaubern. Das sind die Klassiker:

  •     Apfelmus
  •     Apfelkuchen
  •     Bratapfel
  •     Füllung für die Weihnachtsgans
  •     Apfelrotkohl
  •     Fliederbeersuppe (Holundersuppe) mit Apfelspalten

An einer stilvoll gedeckten Kaffeetafel unter Apfelbäumen kann man auch noch im goldenen Oktober sitzen. Ein besonders feiner und blitzschnell zubereiteter Genuss dafür ist eine Apfeltarte mit Puddingfüllung.

Zutaten:

1 Rolle Blätterteig
100 ml Milch
200 g Schlagsahne
5 EL Zucker
1 Pck. Vanillepuddingpulver
1 Ei
1 EL Amaretto
1 TL Zimt
3 – 4 mittelgroße Äpfel (ca. 450 g)

Zubereitung:

Eine Tarteform mit Wellenrand fetten und mit Mehl bestäuben. Blätterteig in die Form legen, überstehende Ränder abschneiden und an die leeren Stellen drücken. Mit einer Gabel mehrmals einstechen. Aus Milch, Schlagsahne, Puddingpulver und 3 EL Zucker einen Pudding kochen. Ofen auf 200 Grad (Umluft 180 Grad) vorheizen. Pudding unter mehrmaligem Rühren abkühlen lassen, bis er lauwarm ist. Dann mit Ei und Amaretto verquirlen, in die Tarteform füllen und glattstreichen. Äpfel waschen, schälen, entkernen und in schmale Scheiben schneiden. Vom Rand aus nach innen in Kreisen auf den Pudding schichten. Mit 2 EL Zucker und Zimt bestreuen und ca. 30 ­– 35 Min. backen.

Wir wünschen guten Appetit und würden uns über das Ergebnis oder Ihr Rezept mit alten Obstsorten in den Kommentaren freuen.

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